Ich habe nie geglaubt, dass man Probleme dort löst, wo sie auftauchen. Und genau deshalb hat mich die Situation mit Sebastian damals so getroffen. Denn: Ich hätte Sebastian den Alpenpass wirklich gegönnt.
Sebastian war mein Klient zu Zeiten, als ich noch als Personal Trainer und Coach die CEOs dieser Nation betreute. Er war Jurist. Und er hatte Parkinson.
Ich war ihm empfohlen worden, weil ich „etwas anders auf Dinge schaue“ und daher oft andere Ansätze finde. Nach dem berühmten Motto: „Ein Problem wird selten auf der Ebene gelöst, auf der es in Erscheinung tritt.“
Nach mehreren Stunden PT fragte ich Sebastian daher, was er gerne gemacht hat, was seine Hobbys waren.
Beim Rennradfahren wurde er wehmütig. Verriet mir, dass einer seiner großen Träume gewesen ist, einen Alpenpass hochzuradeln. Aber jetzt mit dem Parkinson geht das halt nicht mehr…
Und ich alter Rebell hatte sofort im Kopf: Warum eigentlich nicht?
Mich packte die Vorstellung, ihm dieses Erlebnis zu ermöglichen, an das er sich später – vielleicht im Rollstuhl – mit einem stolzen Lächeln erinnern kann. Ich saß daher die ganze Nacht, um zu recherchieren. Und entdeckte: Es ist vor allem das Balancegefühl. Das braucht man auf einem Rad. Und das können wir mit guter Vorbereitung ziemlich gut trainieren.
Kurz: Es schien mir möglich. Verwegen, aber möglich.
Ich fragte Sebastian, ob er Lust hätte auf ein Experiment.
Sie hätten seine Augen leuchten sehen sollen!
Wir starteten voller Energie und Sebastian machte wahnsinnige Fortschritte. Er war so drin, dass er bereits anfing, Vorträge für Parkinson-Betroffene zu planen – nach seiner Alpenpass-Tour. Zum Mut machen. Er blühte richtig auf.
Und dann gingen wir Rennrad kaufen. Ab diesem Moment war es greifbar. Sebastian glühte wie ein kleines Kind an Weihnachten.
Zu guter Letzt ermutigte ich ihn, jetzt auch sein Umfeld einzubeziehen – vor allem seine Lebensgefährtin Miriam. Und sie wurde ein ganz wichtiges Puzzleteil für den Erfolg der Mission.
Dann war alles vorbereitet. Wir hatten den perfekten Alpenpass rausgesucht. Das Begleitteam stand: einer voraus, rechts und links zwei Radler, die ihn abschirmen sollten, und von hinten das Begleitfahrzeug, mein alter Camper. Für alle Fälle, falls er irgendwo doch stürzte.
Und dann kam etwas, was ich nicht vorhergesehen hatte, nicht vorhersehen konnte:
Nach einem Wahnsinnsstreit schmiss Sebastian seine Freundin raus. Vier Tage vor der Tour.
Ich platzte fast vor Wut. Warum nur hatte er mich nicht angerufen, ehe er diese Entscheidung traf?
Der Rest ist nur noch traurig: Sebastian erlitt einen schweren Schub, war monatelang außer Gefecht gesetzt. Die ganze Vorbereitung, alles war für die Tonne. Die Tour wurde abgesagt. Sie fand nie statt.
Monate später fragte ich ihn, warum er nicht mit mir gesprochen hatte, und er sah mich mit großen Augen an: „Wie solltest du mir denn helfen können – du bist doch Fitnesstrainer.“
Und ich ärgerte mich nochmal, diesmal über mich selbst. Ich hatte die Bandbreite meiner Kompetenz nicht klar rübergebracht. Ich hatte sein Vertrauen, aber er dachte in diesem Moment nicht daran, mich anzurufen.
Ich hätte vielleicht die Trennung nicht verhindern können, aber ich bin mir sicher, ich hätte die Tour retten und den Schub abmildern können. Doch dazu hätte er mich einweihen müssen.
Holistic bedeutet: Man kann nie alle Faktoren auf dem Schirm haben, aber man muss für alle Eventualitäten eine Lösung wissen. Und das muss man kommunizieren.
Heute kann ich das. Leider zu spät für Sebastian.
Aber niemals zu spät für alle, die etwas Großes und Komplexes vorhaben – und sich dabei manchmal Verständnis und Support wünschen.
Conny Schumacher – Holistic Sparring for Leaderhip & Businessdevelopment PTY

„Wie ist das bei euch mit Schmerzen?“, fragt Andrea, ein junger Italiener, am Abend vor der Königsetappe über die Hospitalesroute – 25 km über die galicischen Berge in unwirtlichster Gegend.
Die Tage verschwimmen. Morgens verlässt du die Herberge, noch im Halbdunkel, und weißt: Heute sind es wieder 20, 25, manchmal auch 30 Kilometer.
Dann kommt das Highlight: Die Hospitales-Route, 1.200 Meter hoch, zeigt endlich Unwegsamkeiten, atemberaubende Natur, die Einsamkeit der Berge und die Härte der Elemente. Hier oben gibt es keine Automaten, du musst alles selbst tragen, hast kaum Handyempfang, bist also wirklich auf dich selbst gestellt. Der Wind weht dich fast um, es ist kalt, der Regen peitscht dir von der Seite ins Gesicht und die Sicht beträgt kaum zwanzig Meter.
h der Moment, wo wir uns wie echte Pilger fühlen. So war es vor Jahrhunderten. Raue Natur, keine Automaten, kein Entkommen, tiefe Demut, Ehrfurcht, Vertrauen. Das läutert und gibt ein unglaubliches Gefühl der Stärke. Wer die Hospitales im Regen schafft, der weiß tief in sich drinnen wieder, wer er ist und was er kann.
Und dann bin auch ich auf dem Platz vor der Kathedrale. Es ist still, kein Tamtam, keine Musik. Finde ich wunderschön, denn so kann jeder sein Ankommen nach seiner Fasson feiern. Hunderte von müden und verschwitzten Pilgerinnen und Pilgern aus aller Herren Länder kommen dort jeden Tag an; von morgens bis abends ist Betrieb auf dem Platz. Manche weinen, andere singen, viele liegen sich in den Armen, beten, ein Pärchen küsst sich innig. Man grüßt sich lächelnd, ohne sich zu kennen. Was uns alle verbindet, ist dieses Wissen: Wir haben uns gestellt und sind hier angekommen. Innen wie außen. Dieser Platz gehört uns. Wir kommen alle von irgendwoher, halten hier inne und gehen danach wieder unserer Wege. Und jeder hat Hunderte von Geschichten zu erzählen, wenn er nach Hause kommt.
Ich persönlich hatte drei unterschiedliche Empfindungen: Auf den endlosen Etappen über Asphalt und durch die Dörfer spürte ich: Wir vermitteln Frieden. Wer hier läuft, hat gute Absichten. Das war einfach nur schön. Ein schönes Gefühl. Auf der Hospitalesroute habe ich mich selbst wiedergefunden. Und auf dem Platz vor der Kathedrale hatte ich das Gefühl, wir haben etwas, was uns für verbindet. Für immer.