Eiweiß im Ausdauersport? Ein Erfahrungsbericht über die Bedeutung von Essen bei hoher Belastung
Eiweiß im Ausdauersport wird heftig diskutiert. Lesen Sie hier einen Erfahrungsbericht von Conny Schumacher, die im Juli 2008 1.500 KM von Görlitz nach Minsk in Weißrussland geradelt ist – und sich dabei weitestgehend von Eiweiß statt der üblichen Kohlenhydrate ernährt hat.
Görlitz, 1.7. 2008 – es geht los…
Durch Zufall hat mein damaliger Freund Klaus von einer Radtour erfahren, wo im Namen eines Vereines eine Gruppe wild zusammengewürfelter Menschen unter dem Motto „für Frieden und erneuerbare Energien“ vorhat, von Paris nach Moskau zu radeln. Er legte mir den kopieren Flyer auf den Tisch mit den Worten: „Da, das ist was für dich!“
Wo er recht hat, hat er recht – ich hatte nicht die leiseste Ahnung auf was ich mich einlasse, fand die Idee klasse. Als völlig apolitischer Mensch hat mich das politische Drum-Herum dieses Vereines wenig interessiert, aber mit dem Motto konnte ich leben – kurz, in wenigen Tagen war ich entschieden, die Etappe von Görlitz an der polnischen Grenze quer durch Polen und Weißrussland bis nach Moskau mitzufahren. Wo um alles in der Welt bekommt man schon so eine Gelegenheit? Allein bekommt man ja kaum die Chance, nach Weißrussland überhaupt reinzukommen. Dafür kann ich auch mal ein bisschen politische Parolen singen…
Hektisch begann ich mich vorzubereiten. Und als Ernährungsfreak, der ich zu der Zeit schon war, war eines meiner Hauptprobleme – wie komme ich um den vielen Zucker rum, der üblicherweise auf solchen Touren bei Selbstverpflegung verfüttert wird?
Wie ernähre ich mich so, wie ich es gewöhnt bin? Viel Obst und Gemüse, möglichst alles frisch, wenig Brot, Weißmehl, also überhaupt so wenig wie möglich schnelle Kohlenhydrate – dafür viel Eiweiß?
Es gab nur eines – und so deckte ich mich mit guter Nahrungsergänzung ein. Futterte daheim noch soviel wie möglich an „gutem Stoff“ auf „Vorrat“,“ ehe es losging und fuhr am 1.7. mit der Bahn nach Görlitz, wo ich die Truppe treffen sollte, die ja bereits seit mehreren Wochen unterwegs war – man bedenke: Paris – Moskau mit dem Fahrrad, das sind mit öfters mal verfahren dann doch schlappe 4.500 KM…
Die Truppe war bunt zusammengewürfelt, was Nationalität, Fahrvermögen und politischen Hintergrund anging. Schnell fanden sich die einzelnen Grüppchen zusammen, die sich was zu sagen hatten und fest zusammenhielten, was bei so einem Vorhaben auch unbedingt nötig ist. In einer Gruppe um die 40 Mann geht man als Einzelner unter, man muss sich mit zwei, drei anderen zusammen tun. Einer kümmert sich ums Wasser für alle, der nächste sorgt fürs Obst, der dritte achtet drauf, dass niemand verloren geht…
Ich versuchte mich mit meiner „Ernährungseigenart“ – also keine Kohlenhydrate – bedeckt zu halten, was mir weitestgehend gut gelang. Schlürfte meine Eiweißshakes und knabberte meine Nüsse und Eiweißriegel. In Polen kam ich mit der ungewohnten Belastung – kontinentales Klima, also alles zwischen Regen und um die 35° und täglich so zwischen 90 – 130 KM ganz gut klar. Es war anstrengend, aber aufregend – und überall wo wir ankamen und die Märkte und Marktplätze überfielen wie Ameisen, kam irgendwer, der neugierig fragte, wo wir hinwollen – und fassungslos das Gesicht verzog, wenn die Antwort „MOSKVA“ kam 🙂
In Polen gings soweit ganz gut mit der Verpflegung, auf die ich hier ja besonders eingehen will, falls jemand die Idee hat, sowas nachzumachen: Ich erinnere mich allerdings noch gut, dass wir uns an den Raststationen um das frische Obst nahezu kloppten – denn nicht immer gab es genügend Äpfel oder Bananen, um die ganze Meute zu verköstigen. Ein bisschen was aus der Dose zum nachhelfen kam da schon gut…
Und ganz ehrlich: Es ist auf solchen Touren nicht durchzustehen, konsequent zu bleiben – ohne dann doch die Kohlenhydrate essen zu müssen. Was mir auffiel – an den Tagen, wo ich mich mit Nahrungsergänzung und Eiweiß vollpumpte, hatte ich keine Beschwerden, war zwar abends so tot wie alle, aber ich konnte regenerieren über Nacht und war am nächsten Tag wieder fit. Fing ich allerdings an, Brot und Kohlenhydrate mit ins Essen zu mischen, merkte ich, dass meine Beine schneller müde wurden.
Belarus
Wir ließen Polen hinter uns und überquerten die Grenze nach Weißrussland. Das änderte meine Ernährungsstrategie gewaltig! Denn in Weißrussland waren wir Gäste des Staates – und wurden 2x am Tag mit den landestypischen Besonderheiten bekocht. Ups, damit hatte ich nicht gerechnet. Fettes Fleisch, kaum irgendwas Frisches, wenig Salat und Obst – ich habe keine Ahnung, wie die anderen damit zurecht kamen – mir gings von Tag zu Tag schlechter. Ich war müde, träge, fühlte mich schwer und „vergiftet“, vertrug das Essen nicht und wäre ohne meine Vitaminpillen sicher ziemlich baden gegangen.
Zu müde und zu sehr im Trott, um konsequent an meinen normalen Essgewohnheiten festzuhalten – es ging auch nicht – gab ich den Kampf letztlich doch auf. Meine Eiweißvorräte waren eh leer, ich hatte deutlich mehr verbraucht als ich mitgenommen und geplant hatte – und man verbraucht einfach brutal viele Nährstoffe, die irgendwie auch wieder nachgeschoben werden müssen. Mein Akku war schicht leer. Ich fuhr nur noch auf Reserve – und irgendwann fährt man eh nur noch stumpf vor sich hin – um Moskva wieder ein Stück näher zu kommen…
Ich wills nicht aufs Essen schieben, das wäre vermessen. Ich habe mich in Minsk (das Bild zeigt übrigens unsere Ankunft in Minsk, ich bin die mit der roten Regenjacke – nach ungefähr 1.500 KM und exakt am 16.Juli – an meinem 43. Geburtstag) beim Tanzen verletzt. Eine Muskelfaser in der Wade riss beim berühmten Korsakentanz. Tatsache war, dass meine Muskeln total verhärtet waren, übersäuert, und ich nicht mehr in der Lage war, diese Stoffwechselzwischenprodukte irgendwie abzutransportieren. Ich schieb´s ein bisschen aufs Essen, ja.
Warum ich davon so überzeugt bin?
Nun, 2 Jahre später lief ich meinen ersten Marathon in Berlin – wieder alles ohne Kohlenhydrate. Diesmal auf kompletter Selbstversorgerbasis, mit minutiöser Vorbereitung, meinen „Fläschen“ mit entsprechender Verpflegung an den raffiniert ausgetüftelten KM-Stellen. Ich ging nicht zur Nudelparty, ich habe am Tag vorher lieber gar nichts mehr gegessen. Damit war der Magen leer, was ich als absolute Bereicherung erlebt habe. Kein Magenzwicken, kein Darmrumoren…
Fazit: Ich bin Fan einer weitestgehend kohlenhydratfreien Kost. Es ist eine Sache der Gewohnheit und es gibt viele gute Gründe, sie wegzulassen. Alle, wirklich ALLE Ausdauerleistungen kann man wunderbar durchstehen, wenn man auf diese Pastamast verzichtet. Man fühlt sich leicht, ist konzentriert, gut drauf, die Verdauung klappt bestens, man regeneriert schnell und übersäuert nicht so leicht.
Schwierig wirds nur, wenn man plötzlich gezwungen ist, seine Gewohnheiten auf Grund der Gegebenheiten vor Ort zu verändern. Das habe ich am eigenen Leib erlebt und da es mir überhaupt nicht gut getan hat, möchte ich alle, die sowas vielleicht vorhabe – DRINGEND davor warnen! Unterschätzt den Nährstoffverbrauch nicht! Deckt euch ein mit dem, was euer Organismus kennt. Nehmt mit was ihr vertragt und kümmert euch nicht um das, was andere sagen oder denken. Man kann vieles mit Vodka kurieren – das habe ich auch gelernt, von Mückenstichen über schreiende Kleinkinder bis zu Magenschmerzen und Heimweh. Aber auch das ist nicht jedermanns Sache und definitiv gewöhnungsbedürftig….
Ich habe Menschen gesehen, die Magenkrämpfe oder Durchfall bekommen haben, weil sie irgendwelche Elektrolyte oder Nahrungsmittel nicht vertragen haben. Bitte Leute, unterschätzt sowas nicht. Die Erinnerung, wie auch die Leistung und der Erfolg einer abenteuerlichen Tour kann mit dem Essen wirklich stehen oder fallen.
Aber um meine Moskau-Radel-Nummer abzuschließen: Es war ein außergewöhnliches Erlebnis, mit unglaublich hilfsbereiten Menschen, die zu wahren Freunden wurden. Mit heftigen politischen Diskussionen und mit viel Begreifen um die verwundete Seele unsere östlichen Nachbarn, bei denen die Spuren des 2. Weltkrieges – der hier längst vergessen ist – möglicherweise nie ganz verschwinden werden. Es waren unvergessliche exotische Eindrücken aus Ländern und Kulturen, die viele nie zu Gesicht bekommen.
Auch jetzt noch, Jahre später denke ich gerne daran zurück, wie meine bronzefarbenen Badeschlappen (das Universalmodell: „Von-der-Dusche-in-die-Oper – extra dafür gekauft!) in einem russisch – orthodoxen Kloster für betretenes Schweigen sorgten – viel zu dekadent – und wie wir in einer Kneipe an der polnisch-weißrussischen Grenze den „kleinen grünen Kaktus“ geschmettert haben…
In diesem Sinne – einen tollen Frühling mit viel Spaß an außergewöhnlichen Touren und Erlebnissen wünscht euch
Eure
Conny Schumacher
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